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Erlebnisberichte von Militärseelsorgern: „My Fighting Congregation“

My Fighting Congregation My Fighting Congregation

In „My Fighting Congregation“ berichtet der Baptist William C. Taggart von seinen Erlebnissen während seines Einsatzes als Militärseelsorger für die 19th Bombardment Group im Zweiten Weltkrieg. Im Unterschied zu vielen anderen Memoiren sind Taggarts Erinnerungen bereits 1943, also während des Zweiten Weltkriegs, erschienen. Auch der Zweck ist ein spezifischer: In den Worten des Chief of Chaplains William R. Arnold soll das Buch den Lesern einen Einblick in die Arbeit der Militärseelsorger bieten: „a clearer understanding of the work of our chaplains and of the need for clergymen of faith, courage, and self sacrificing devotion” (VIII).

Der eigentliche Verfasser des Buches, Christopher Cross, hat für diese Aufgabe einen lebhaften, beinahe romanhaften Stil gewählt. Der Leser ist somit mit zwei Aspekten konfrontiert: einem sehr persönlichen Erlebnisbericht, aber auch einer Schrift mit einer expliziten propagandistischen Ausrichtung. Anzumerken ist hier, daß die Veröffentlichung von Photographien von toten, schwer verwundeten oder psychisch beeinträchtigten Soldaten in den USA bis 1943 nicht zugelassen war. Insoferne ist es durchaus bemerkenswert, welch großen Raum die Schilderungen von Tod, Verwundung und psychischer Belastung bei Taggarts 1943 erschienenen Buch einnehmen und daß diese zumeist ohne patriotische Überhöhung oder Verklärung bleiben.
Von einer gewissen Freiheit in der Schilderung der Erlebnisse ist jedenfalls auszugehen – wie schon die in indirekter Rede wiedergegebenen Dialoge nahelegen. Tim O’Brien hat in der Frage des Wahrheitsgehaltes von Erzählungen aus dem Krieg dem Leser Folgendes nahegelegt: „A thing may happen and be a total lie; another thing may not happen and be truer than the truth.” (Tim O'Brien, The Things They Carried, 2009, 79-80)
Auch wenn eine mögliche Verwicklung der USA in den Zweiten Weltkrieg bei weitem nicht so intensiv diskutiert wurde und die Friedensbewegung nicht mehr diesen Einfluß besaß wie während des Ersten Weltkrieges, so stellen Taggart und Cross dennoch die Rechtfertigung des Krieges vor allem aber der Existenz der Militärseelsorge an den Anfang ihres Buches.
Für Taggart ist die Entscheidung, als Militärseelsorger zu dienen, einerseits die logische Folge der Einberufung von immer mehr Mitgliedern aus seiner Gemeinde aber auch seine patriotische Pflicht. Diese Sichtweise teilen jedoch nicht alle: So berichtet Taggart, daß einige Gemeindemitglieder aufgrund seiner Entscheidung, als Militärseelsorger Dienst zu tun, dem Sonntagsgottesdienst nicht mehr beiwohnten. (2-3) Taggart schildert, daß auch für ihn diese Entscheidung keine einfache war bzw. er sich von den Argumenten für und wider hin- und hergerissen fühlte. Taggart listet auch einige der Argumente auf, die ihm gegenüber gegen die Teilnahme der USA am Krieg vorgebracht werden: „It’s not our war. … Turn the other cheek. … Christians don’t kill. … Christ said love your enemy.” (17)
In der Frage, ob die Militärseelsorge an sich zulässig sei, sieht sich Taggart mit Bibelzitaten und der Meinung konfrontiert, daß „a minister becomes anti-God“, wenn er an einem Krieg teilnimmt. (20) Auch die von der Southern Baptist Convention geforderte strikte Trennung von Staat und Kirche sei in diesem Dienst nicht gegeben.
Diese Widersprüche habe für Taggart dann die Aussage seiner Mutter auflösen können: „You can read the Scriptures, too, can’t you, William? […] Read them, then, interpret for yourself. God will help you to see what’s right, my son.” (20) Taggart entscheidet sich also für den Einsatz als Militärseelsorger. Es sind schließlich nicht die in der Frage uneinigen Professoren des theologischen Seminars, die für ihn eine Antwort bereit hielten, sondern den Ausschlag gibt die Aussage des Besitzers des örtlichen Tierfuttergeschäftes: „There’s too much talking and too much thinking! It’s time to be a-doing. And sure as blazes if we don’t stop talking and thinking and start doing it’s going to be too late!” (21)
Auf die Fragen der Zulässigkeit des Tötens im Krieg sowie des Kriegsdienstes gibt Taggart zwar keine abschließende Antwort, aber er findet für sich eine pastorale Rechtfertigung seiner militärseelsorglichen Tätigkeit: „Did they think that when men became soldiers they ceased to be God’s children? Did a uniform eliminate the need of the influence of the Church?” (8)
Eindeutig sieht Taggart die Rechtfertigung des Krieges gegen eine Macht, die dabei ist, auf der ganzen Welt „[a]t the point of the bayonet” (5) die Bibel durch Mein Kampf auszutauschen. Dieser Krieg als Kampf gegen das die christliche Welt bedrohende Heidentum ist für ihn patriotische Pflicht: „A minister belonged with the men who would soon be called upon to rid the world of the pagan menace. […] I, too, had a service to give to my country.“ (2)
Taggart reflektiert auch über diese für ihn neue Situation, in der er als Militärseelsorger Teil der Streitkräfte geworden ist und somit Teil einer gemeinsamen Anstrengung mit dem Ziel des Sieges über den Feind: „It was the sudden realization of my responsibilities that perplexed me. I was a soldier in this army charged with helping to defeat the enemy just as surely as the soldier in the artillery of infantry. […] My work, if properly performed, could help attain victory as directly as a well placed bomb on an enemy warship.” (6) Ähnlich führt er an anderer Stelle zur Aufgabe des Militärseelsorgers aus: „my chief contribution toward victory would be in my ability to keep the men conscious that they were fighting on God’s side and aware of what He expected of them.” (164) So sieht er auch zwischen Soldaten und Militärseelsorgern keinen grundlegenden Unterschied: „in all respects the chaplain is like the other officers and enlisted men. His love for the country is like theirs. He shares with them their desire to defeat the enemy.” (12)
Das Verständnis des Kampfes der USA als christliche Demokratie gegen die Barbarei des Heidentums drückt sich auch in einem Gebet aus, das er anläßlich eines aufgrund eines Hitzeschlags in Lebensgefahr befindlichen Soldaten spricht:
„O Lord, if it be Thy will, keep death from this ship. We are on a mission to destroy paganism and barbarianism before they destroy our democracy, which, You know, Father, comes from the teachings of Your Son. We are ready to give our lives in this struggle to preserve on earth Your way of life. It’s a great struggle that awaits us. All of us will be needed when we meet the enemy. Spare us, then, this man, so he, too, may be able to strike his blow at the enemy. Amen.” (30)
Taggart beginnt seinen Dienst als Militärseelsorger noch im Frieden. Die Nachricht des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor erreicht die Einheit, der er zugeteilt ist, während der Verschiffung auf die Philippinen. Aufgrund der neuen Situation wird der Einsatzort von Taggarts Einheit nach Australien verlegt. Dort angekommen berichtet Taggart in lockerer Abfolge zumeist anhand unterschiedlicher Einzelschicksale vom Begräbnisdienst, dem leicht angespannten Verhältnis zwischen US-amerikanischen und australischen Soldaten, diversen Alltagsproblemen wie der für die Soldaten fremden Währung, aber auch den Gefahren, denen die Flugzeugbesatzungen in ihrem Einsatz ausgesetzt sind, ihren Beziehungsproblemen, pastoralen Gesprächen und der Zusammenarbeit der Militärseelsorger über die Konfessionsgrenzen hinweg.
An mehreren Stellen betont Taggart dabei, daß der Platz des Militärseelsorger unter den Soldaten sei – denn nur wenn er vor Ort ist, kann er ihnen auch das Evangelium vermitteln. (68) Aus diesem Grund lehnt er in einem Fall eine komfortablere Unterbringung in einem Hotel im Hauptquartier ab und nächtigt mit den Soldaten im Camp.
Immer wieder finden sich bei Taggarts Schilderungen interessante Details: neben den in Erinnerungen üblichen Berichten über die Verzögerungen und allgemeine Unzuverlässigkeit der Briefpost zum Beispiel die Erwähnung, daß es den amerikanischen Soldaten während ihrer Stationierung in Indonesien möglich war, telephonisch mit ihren Angehörigen in den USA zu sprechen.
Mit der Verlegung nach Indonesien ändert sich zunehmend der Charakter der Erinnerungen: Die unterhaltsamen Anekdoten treten jetzt in den Hintergrund und es dominieren Schilderungen von Todesfällen und Begräbnissen, der Pflege der Verwundeten und der Benachrichtigung der Angehörigen von Gefallenen. Auch die psychische Belastung für Soldaten wie Seelsorger wird nun von Taggart thematisiert.
Aus dieser Zeit des Einsatzes in Indonesien stammt auch eine eindrucksvolle Reflexion zum Glauben im Krieg anhand eines Gottesdienstes:
„In combat, Sabbath is any time you can get some men together for a service, a singsong, or a Bible-study class. Worship time is any time the ground crews can spare a few minutes from their work; any time you are standing with a group of men about to take off on a mission. You’ll stand under the wing of a B-17 and they’ll gather around you as they take their last sip of coffee from the thermos or munch a piece of chocolate. You hold the Bible in your hand and you quote a line or two from the Scriptures. They stop munching their chocolate; they put the cover on the thermos, and they listen. Then you utter a simple prayer, asking God to protect them and to look after their loved ones at home. And while you’re praying the motors are being warmed up and are making so much noise that they can’t hear your prayer. But it doesn’t matter. They are thinking their own prayer.” (117)
Entsprechend seiner Einstellung als Militärseelsorger und auch Soldat, das Möglichste zum Erfolg der Sache beizutragen, hilft Taggart neben seiner eigentlichen Tätigkeit als Militärseelsorger (z.B. Gottesdienste, Campbesuche, pastorale Gespräche, Briefe an die Hinterbliebenen) vor allem im Lazarett bei der Pflege der Verwundeten aus. Oft vermischen sich Hilfstätigkeiten und Pastoral: So erzählt ein Unteroffizier von einem „job that needs some religion” (100) und fordert Taggart auf ihm dabei zu helfen: tatsächlich handelt es sich um die Reinigung eines Flugzeuges vom Blut eines schwer Verwundeten: „One of the roughest and toughest men in our outfit didn’t like cleaning up the blood of his buddy.” (101) Aber auch solche Arbeiten sieht Taggart als Dienst an seiner „fighting-congregation“: „When the plane was cleaned up we walked together from the field. Doing the job with Silva had made us friends. I thought I understood him better and that he respected me more. I thought of my father’s words to me when I decided to enter the ministry: ‘A congregation can make or break a minister.’” (102)
Bereits während der Stationierung in Indonesien wird in Taggarts Schilderungen der Aspekt der persönlichen Betroffenheit des Militärseelsorgers von den Schicksalen der ihm Anvertrauten Thema. Als Militärseelsorger kennt er alle Soldaten der Einheit und sucht sie regelmäßig im Rahmen der Pastoral auf: Taggart verschweigt in seiner Erzählung seine persönliche Betroffenheit bei Todesfällen nicht, sondern macht sie zum Thema: „I left the barracks grieving for the men who had died as Christ had wept at Lazarus’ grave, little realizing that this was just the beginning; that many more of my fighting congregation would have to give their lives.” (91)
Besonders die enge Verbindung, die durch den gemeinsamen Einsatz zwischen Soldaten entsteht, schafft so für den Militärseelsorger eine persönliche Betroffenheit, die in einer zivilen Gemeinde so nicht existiert: „Losing a man in combat is often more grievous to the chaplain than is the death of a member of his peacetime congregation. As a chaplain during wartime you live closer to your men. It’s as though every one of them suddenly became your relative. You know his wife, his parents. You’ve seen for the hundredth time that much-thumbed snapshot of his baby. He’s told you of his plans when the war is over. He’s confided in you. Then he’s dead. And his loved ones are not there to mourn for him. They don’t even know about it. While he is being buried, they’re writing letters – writing to him about the future they’ll have together when he returns. […] You feel the impact of the tragedy for them all. And you mourn for yourself, too, as his friend and chaplain. And you look up to the Lord and ask Him to please see to it that Don’s death be not in vain.” (115-116)
Der Einsatz in Indonesien und der Rückzug nach Australien endet für die Einheit Taggarts mit rund 50% Verlusten an Gefallenen, Vermissten und Gefangenen. Während der zweiten Stationierung in Australien berichtet Taggart nun auch von Einsätzen, in denen er als Militärseelsorger am jeweiligen Absturzort eines Flugzeugs an der bedrückenden Bergung von Leichen bzw. Leichenteilen und der Identifizierung der oft zur Unkenntlichkeit Verstümmelten oder Verbrannten beteiligt ist. Beim anschließenden Begräbnis der Toten erfährt man wiederum Details über den religionsübergreifenden Charakter der Militärseelsorge in den amerikanischen Streitkräften, wenn der Baptist Taggart beim Begräbnis einer Flugzeugbesatzung auch das Kaddisch für zwei jüdische Besatzungsmitglieder spricht; daß die in der Nähe stationierten afroamerikanischen Truppen keinen eigenen afro-amerikanischen Militärseelsorger hatten und Taggart in das Camp reiste, um gemeinsam mit ihnen den Gottesdienst zu feiern; oder daß im Gegensatz zu den evangelischen Soldaten, die ihre Gottesdienste in Zelten oder anderen gerade verfügbaren Räumen feierten, die katholischen Soldaten die Messe in einer nahegelegenen australischen Kirche besuchten. (150-156)
Besonders die Korrespondenz mit den Angehörigen der Gefallenen (einige solcher Antwortschreiben sind in der Erzählung abgedruckt, 132-135) stellt für Taggart eine zunehmende Herausforderung dar. So beschäftigt ihn besonders die Frage einer Mutter, ob eine Überführung der Leiche ihres Sohnes nach dem Krieg überhaupt möglich sei: „If it’s at all possible to give comfort to a mother who has learned that her son’s body has been crushed and burned to death, then your letter has done that. […] Was there anything left of him to bring back? Please, Mr. Taggart, I can take it – would you please tell me…” (157)
Die Schilderung Taggarts, daß auch er in diesen Situationen einen „moral officer“ benötigt (also Unterstützung durch einen Vertrauten), stellt einen der selteneren Fälle dar in denen in der Memoirenliteratur die psychische Belastung von Militärseelsorgern thematisiert wird. (156-157)
Einem Vorurteil tritt Taggart jedenfalls vehement entgegen, daß nämlich nur die Schwachen sich in Kriegszeiten der Religion zuwenden: „Those who turn to religion in combat are not men afraid to die; they are not weak men seeking a haven in religion. These are strong men with an unfaltering conviction that they are fighting on God’s side. This belief and faith in Him help them to withstand unbelievable hardships and suffering; help them to fight on to victory against superior strength.” (165)
Der Glaube ist für Taggart sogar kriegsentscheidend – er ist der wesentliche Unterschied zwischen den Alliierten und den Achsenmächten: „Here […] was the essential difference between our Allied soldiers and the Axis. Our enemy had only machinery of war in which to have faith. And when that was smashed, what was left? We had the ‘weapon’ that no amount of bombardment could break down. […]. Yes, this was the ‘weapon’ historians would have to concede turned the tide to victory.” (69)
Die Einheit Taggarts wird schließlich abgelöst und repatriiert. Auch hier zeigt sich für ihn, wie sehr der Krieg und die erlebte Kameradschaft die Heimat verdrängt hat: „I tried to figure out how I would get to my house from the railway station in Abilene. I was puzzled when I found I couldn’t remember. I felt as if I had been here all my life. My parents, my friends, my home – they all seemed part of a vivid dream that I couldn’t quite recollect.” (172)
Zum Abschluß seines Buches bei der Schilderung der Parade der Einheit in Pyote, Texas gibt sich Taggart, mit dem Silver Star für besondere Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichnet, bescheiden; er reklamiert keine Heldentaten und herausragenden Leistungen für sich: Ein einfacher Satz eines Soldaten sind ihm genug der Anerkennung: „There’s an awful lot we didn’t have in combat, but we always had church services, we always had Chaplain Taggart to come to.” (175)
William C. Taggart: My fighting congregation (zusammen mit Christopher Cross), New York 1943, 176 Seiten, Sprache: Englisch
MBBA Buchnummer: 19.407

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